Aus meiner Perspektive ist es essentiell, dass wir den Unterschied zwischen Bindung und Liebe verstehen, wenn wir erfüllende Beziehungen führen wollen. Denn oft halten wir an Partnerschaften fest, die uns nicht guttun, weil unsere Bindungsmuster uns daran hindern loszulassen. Oder wir fühlen uns unglücklich und wissen nicht warum. Nach meinem Verständnis liegt das daran, dass unsere frühen Prägungen und Konditionierungen uns manchmal im Weg stehen. Wie Stephen Porges es formuliert: "Das Nervensystem ist der Schlüssel zum Verständnis unserer Beziehungen und Bindungen."
Um das zu verstehen, möchte ich dich einladen, mit mir einen Blick auf die früheste Phase unseres Lebens zu werfen. Als Babys sind wir vollkommen angewiesen auf unsere Bezugspersonen. Unser Nervensystem braucht ihre Nähe und Fürsorge, um sich zu regulieren. Diese instinktive Bindung ist überlebenswichtig für uns.
Doch was passiert, wenn diese erste Bindung von Unsicherheit und Mangel geprägt ist? Wenn unsere Bezugspersonen selbst ein aktiviertes Nervensystem haben und nicht adäquat für uns da sein können? Aus einem trauma-informierten Blickwinkel wissen wir: Diese frühen Erfahrungen prägen uns bis ins Mark. Sie formen unseren Bindungsstil und hinterlassen Wunden, besonders die Verlassenheitswunde, die auch in späteren Beziehungen immer wieder aufbrechen kann. Bessel van der Kolk bringt es auf den Punkt: "Die Art und Weise, wie wir als Kinder geliebt wurden, formt unser Gehirn und unsere Fähigkeit, als Erwachsene Verbindung aufzunehmen."
Wenn wir als Kinder keine stabile Bindung erlebt haben, tragen wir oft eine tiefe Scham und Sehnsucht danach in uns. Wir sehnen uns verzweifelt nach Sicherheit und klammern uns an Beziehungen, die uns vielleicht gar nicht guttun. Die Angst, verlassen zu werden, sitzt so tief, dass wir uns selbst verleugnen, um den anderen nicht zu verlieren.
Doch ich sage dir: Es ist möglich, diese Fesseln zu sprengen! Der erste Schritt ist, dich deiner eigenen Verletzlichkeit zu stellen. Ja, es kann unheimlich sein, sich einzugestehen, dass unsere inneren Anteile verletzt und bedürftig sind. Aber genau da liegt der Schlüssel zur Heilung. Indem wir uns selbst mit Wohlwollen und Selbstfürsorge begegnen, können wir unser Nervensystem nach und nach regulieren. Das erinnert mich an Gabor Matés Worte: "Die Authentizität, die wir suchen, liegt in der Annahme unserer Verletzlichkeit."
Denn wahre Liebe die beginnt erst, wenn du ganz du selbst sein kannst. Wenn du weißt, dass du auch ohne den anderen zurechtkommst. Wenn du deine eigenen Gefühle und Bedürfnisse spürst und sie klar in Wahrhaftigkeit ausdrücken kannst.
Das heißt nicht, dass du den anderen nicht mehr brauchst. Im Gegenteil: Auf dieser Basis kannst du dich dem Du wirklich öffnen. Du musst dich nicht mehr verstellen oder verbiegen. Du kannst dein Gegenüber so sehen, wie er oder sie ist - mit allen Stärken und Schwächen. Und du kannst dich selbst verletzlich zeigen, ohne Angst, dafür verurteilt zu werden.
Genau da entsteht sie, die wahre Verbindung. Eine Liebe, die nicht auf Anhänglichkeit beruht, sondern auf Freiheit. Die beide Partner wachsen lässt, anstatt sie zu erdrücken. Die Raum lässt für Unterschiede, ohne die Gemeinsamkeit zu verlieren. Eine Augenhöhe der Herzen sozusagen.
Versteh mich nicht falsch: Diese Art der Liebe ist kein Zustand, den man einmal erreicht und dann für immer hat. Sie will immer wieder neu erobert werden. Wir müssen uns stets aufs Neue dafür entscheiden, in Wahrhaftigkeit und Wohlwollen mit uns und dem anderen umzugehen.
Das kann auch mal wehtun. Vielleicht berühren wir gegenseitig immer wieder schmerzhafte Punkte. Alte Verwundungen und Scham werden aktiviert, neue Trigger entstehen vielleicht. Aber wenn wir es schaffen, in diesen verletzlichen Momenten präsent zu bleiben und fürsorglich mit uns und dem anderen umzugehen - dann wachsen wir daran. Dann heilen wir gemeinsam, Schritt für Schritt. Richard Schwartz, der Begründer des Internal Family Systems (IFS), drückt es so aus: "Wir alle haben verletzte Anteile und wir alle haben einen inneren Heiler. Die Reise geht darum, all diese Teile willkommen zu heißen."
Aus einer traumasensiblen Haltung betrachtet ist Partnerschaft also auch eine Art heilsame Beziehungserfahrung. Eine zweite Chance, Bindung und Verbundenheit ganz neu zu erleben. Diesmal nicht aus einem aktivierten Nervensystem und alten Mustern heraus, sondern aus einer inneren Freiheit und Selbstfürsorge. Verletzungen die im Kontakt entstanden sind, heilen auch nur durch Kontakt.
Deshalb möchte ich dich ermutigen: Es ist völlig normal Angst zu haben, dich auf dieses Abenteuer einzulassen! Ja, es erfordert Mut, sich seiner Verletzlichkeit zu stellen. Sich womöglich von Beziehungen zu lösen, die einem nicht mehr guttun. Sich auf die Suche zu machen nach dem, was wirklich stimmig ist für einen selbst.
Aber es lohnt sich. Denn das ist doch, was wir uns alle zutiefst ersehnen: Gesehen und geliebt zu werden, genau so wie wir sind. In unserer ganzen Verletzlichkeit und Pracht. Nicht, weil wir perfekt sind, sondern weil wir echt sind, mit all unseren inneren Anteilen. Thomas Hübl fasst es wunderbar zusammen: "Liebe ist kein Gefühl, sondern eine Fähigkeit zur Wahrnehmung."
Also lass uns gemeinsam aufbrechen zu dieser schönsten aller Reisen - der Reise zu uns selbst und zueinander. Lass uns immer wieder innehalten und uns fragen: Wie geht es mir gerade wirklich? Was brauche ich jetzt? Wie kann ich wohlwollend und fürsorglich mit meinen Anteilen umgehen? Und wie kann ich meinem Partner auf Augenhöhe begegnen?
Glaub mir, es gibt nichts Kostbareres, als in jeder Faser zu spüren: Ich bin okay, so wie ich bin. Und der andere ist okay, so wie er ist. Und zusammen sind wir mehr als die Summe unserer Teile. Zusammen können wir einander nähren, inspirieren, beflügeln - von einem regulierten Nervensystem aus.
Das, mein Freund, ist wahre Liebe. Lass sie uns leben, jeden Tag ein bisschen mehr!
Von Herzen
Micha Madhava
Verletzlichkeit ist ein zentraler Bestandteil menschlicher Erfahrungen. Sie ermöglicht uns den Zugang zu intensiven Momenten und wird somit zur kostbarsten Ressource unseres Seins. Im folgenden möchte ich einen Einblick in die Kraft der Verletzlichkeit geben und die Bedeutung eines authentischen Ausdrucks beleuchten.
Als Kinder sind wir voller Enthusiasmus und Spontaneität in diese Welt geboren worden. Doch im Laufe der Jahre verlieren wir oft den Bezug zu diesem wertvollen Geschenk. Misstrauen gegenüber dem Leben und anderen Menschen schleicht sich ein, und wir lernen, unsere Verletzlichkeit zu verbergen.
Um uns mit anderen Menschen verbinden zu können, ist es unerlässlich, dass wir uns sicher fühlen. Dieser Schritt kann nicht übersprungen werden, wenn wir uns wieder in die Verletzlichkeit wagen möchten. Gemeinsam können wir erforschen, wie du wieder sicheren Halt in dir selbst finden kannst.
Für viele Menschen ist der Weg zur Wiederentdeckung der Verletzlichkeit mit traumatischen Erfahrungen verbunden. Eine traumasensible Prozessbegleitung kann dabei helfen, diese Erfahrungen anzunehmen und zu heilen. Durch eine einfühlsame Begleitung kannst du Schritt für Schritt lernen, deine Verletzlichkeit zu akzeptieren und als Quelle deiner Stärke zu nutzen.
Ein authentischer Ausdruck ermöglicht es dir, deine ganz individuelle und einzigartige Erfahrung von Intensität mit anderen zu teilen. Indem du dich verletzlich zeigst und deine wahren Gefühle offenbarst, schaffst du eine Verbindung zu anderen Menschen. Diese Offenheit kann dir die Freude und Fülle bringen, nach der du suchst.
Verletzlichkeit ist kein Zeichen von Schwäche, sondern ein Ausdruck von Mut und Echtheit. Indem wir uns unserer Verletzlichkeit bewusst werden und sie zulassen, eröffnen sich uns neue Möglichkeiten der Verbindung und des Wachstums. Lass uns gemeinsam den Wert der Verletzlichkeit erkunden und den Mut finden, uns authentisch auszudrücken.
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